Friday 11 November 2016

Mit dem Fernbus

Donnerstag, der 10.11.2016

 

Echt beschissenes Wetter heute. Mein Freund und ich machen uns auf den Weg von Berlin nach Hof. Wir haben die nächste Studiosession vor uns, bei einem guten Freund und seiner Familie in Hof. Wir machen es uns so gut es geht gemütlich im Fernbus. Nach bald 4 Stunden Fahrt in einem mal wieder randvollem Bus, stupst mich mein Freund von der Seite an und reist mich aus meinem Film, den ich voller Aufmerksamkeit auf meinem Tablet verfolgt habe. „Der Zoll“ sagt er. Ich schau rasch aus dem Fenster und sehe den Zollwagen vor uns und das #bittefolgen Schild leuchten. Ich merke, wie mein Puls hoch geht. Das passiert eigentlich immer, wenn ich kurz davor stehe mit der Polizei oder einer ähnlichen Behörde in Kontakt zu kommen. Meine bisherigen Erfahrungen in dieser Richtung sind meistens eher weniger angenehm für mich abgelaufen. Wir fahren von der Autobahn ab und landen letztendlich in einer abgelegenen Zollhalle. Die Leute im Bus fangen an zu tuscheln. Ich bin genervt. Wir sind etwa 40 km vor Hof. Der Tag war lang und mein Rücken schmerzt. Ein Zollbeamter betritt den Bus, greift sich beim Fahrer das Mikrofon und sagt: „Hallo und herzlich willkommen zur Zollkontrolle“. Hält sich ja für ganz witzig! Er erklärt das Prozedere. Zwei weitere Zollbeamte steigen in den Bus und sammeln alle Ausweise ein. Na klasse! Das letzte Mal, als im Bus mein Ausweis kontrolliert wurde, war das an der tschechischen Grenze und mein Ausweis wurde so oft hin und her gedreht und mir ins Gesicht geglotzt, um zu wissen, ob ich das wirklich bin auf dem Bild, dass mir nur beim Gedanken daran schon wieder übel wird.
Sie kommen also herum und sammeln alle ein. Dann müssen alle Leute Reihe nach Reihe aus dem Bus aussteigen und das Handgepäck mitnehmen. Unser restliches Reisegepäck wurde von weiteren Kollegen bereits aus dem Gepäckfach geholt und in einer Reihe neben dem Bus platziert.
Mein Freund und ich sitzen ganz hinten im Bus (vorletzte Reihe). Vor uns ein schwarzer Mann mittleren Alters, hinter uns ein junger Mann, der von den meisten Menschen hier wohl als arabisch gelesen wird. Schräg vor uns sitzt ein weißer junger Typ mit Dreadlocks und hinten rechts in der Ecke ein junges vermutlich deutsch-türkisches Mädchen, etwas Antifa angehaucht.
Ich nehme diese Beschreibungen vor, um zu verdeutlichen, was später passiert.

Der Dreadhead wird gebeten auszusteigen. An seinem Platz liegt ein kleines schwarzes Täschchen. „Ist das ihrs?“ fragt einer der Zollbeamten den jungen Mann. „Nein, das gehört eventuell der Dame, die vor mir saß“. Er soll warten und das Täschchen wird erst einmal durchsucht, um anschließend noch mal mit der Taschenlampe sicher zu gehen, dass der kleine Kiffer hier nix liegen gelassen hat. Meine Laune sinkt stetig.
Letztendlich schaffen wir es auch endlich mal aus dem Bus. Draußen werden wir aufgefordert unser Handgepäck zu unserem Reisegepäck zu legen. Tun wir. Der Junge vermutlich arabischer Herkunft legt sein Handgepäck neben unseres und ein Zollbeamter sagt mit aggressiver Stimme: „Ist das dein Gepäck?“ Der junge Mann verneint dies und erklärt, dass er nur Handgepäck dabei hat. „Dann kommt das hier rüber!“ sagt der Zollbeamte laut, packt ihn etwas grob am Arm und „geleitet“ ihn zum Ende der Gepäckschlange.

Wir gehen auf die andere Seite des Busses, um bei den anderen Fahrgästen zu warten. Ich zünde mir eine Zigarette. Ich bin genervt und sage zu meinem Freund: „Hast du gesehen, wie der mit dem jungen Mann umgegangen ist?“ Er nickt. Die restlich Zeit schimpfe ich vor mich hin und schau den Drogenspürhunden zu, wie sie an den Gepäckstücken schnuppern. Endlich vorbei, denke ich, als die Hunde wieder in ihren viel zu winzigen Autokäfigen Platz nehmen. Aber falsch gedacht! Alle sollen ihr Gepäck nochmal durch einen Scanner schicken. So wie am Flughafen. Im Ernst jetzt? Was soll das denn?
Nun gut. Eine Schlange formiert sich. Ich schaue über die Schulter und sehe, dass einzelne Personen bereits gebeten wurden, ihr Gepäck zu öffnen und die Jacken- und Hosentaschen auszuleeren. Und wen sehe ich da? Das Antifamädchen und den Dreadhead. So eine Überraschung. Ein paar Meter vor uns in der Schlange stehen der schwarze Mann und der arabisch anmutende Junge. Ich sage zu meinem Freund in mittlerweile sehr sarkastischem Tonfall: „Wollen wir wetten, wer noch kontrolliert wird?“
Und zu meiner Nicht-Überraschung werden wir Zeug*innen von Racial Profiling in Reinstform. Ich bin empört aber nicht verwundert.
Ich bin dran, mein Zeug auf das Band zu legen. Ich schaue die Zollbeamten wütend an. Sie schauen gelangweilt zurück und geben mir meinen Rucksack. Ich darf wieder einsteigen.
Ich steige in den Bus. Ich bin stocksauer und empöre mich im Bus lautstark darüber was hier abgeht. Foto- und Videoaufnahmen sind verboten, wurde uns zuvor erklärt. Wundert mich nicht. Soll ja keiner sehen, wie das hier so läuft, richtig?
Ich höre ein Telefonat mit, von dem Antifamädchen auf der Rückbank. Sie erklärt der Person am anderen Ende der Leitung, was hier gerade passiert und wie das nicht angehen kann. Ich möchte es ihr gleich tun. Ich versuche meine Freundin Lilly anzurufen aber erreiche sie nicht. Dann rufe ich meine Mutter an und lasse meinem Frust freien Lauf. Sie ist schockiert. Ich bin wütend.
Wir legen auf und ich schau weiter aus dem Fenster. Beobachte das Geschehen ganz genau. Sie wühlen in den Klamotten des schwarzen Mannes herum und schauen in jede noch so kleine Hosentasche. Wir sind mittlerweile seit einer halben Stunde hier.
Es ist sehr still im Bus geworden. Alle sitzen da und warten. Fast alle sitzen wieder im Bus. Nur einer fehlt. Der Junge hinter mir, gerade mal 18 oder 19 schätze ich, wird weiter durchsucht. Ich beobachte, wie er in ein Badezimmer geführt wird mit der Aufforderung sich zu entkleiden. Ich finde keine Worte mehr, um meine Wut zu beschrieben. 4 Beamte folgen ihn in den Raum. Ein paar Minuten später hat er seine Kleidung wieder an und wird in einen weiteren Raum geführt. Wozu dass nun? Was soll das alles? Frage ich meinen Freund. Aber natürlich ist mir absolut klar, was hier gerade passiert. Die nicht-weißen Personen aus dem Bus sollen ja nicht vergessen, wo sie hier sind und vor allem was sie sind und was nicht. Wir sind Menschen, die unter Generalverdacht stehen, Drogen zu schmuggeln. Die ganz sicher Dreck am stecken haben und wo man immer etwas genauer hinsehen muss. So passiert bei dem jungen Mann, der noch immer nicht zurück im Bus ist.
Wir sind definitiv keine aufrechten Bürger bei denen es ein Verdachtsmoment geben muss, um solche Untersuchungen zu rechtfertigen. Wir haben auch nicht das Recht zu fragen, was das alles soll. Wir dürfen schön ruhig sein und diesen Scheiß über uns ergehen lassen. Mir ist schlecht.
Der junge Mann steigt in den Bus ein und läuft durch die Reihen, um wieder auf seinem Platz hinter uns in der letzten Reihe platz zu nehmen. Alle Fahrgäste schauen betreten nach unten. Keiner sagt etwas. Ich frage den Jungen als er sitzt, ob alles ok bei ihm ist. Er schüttelt den Kopf, antwortet mit nein, um sich direkt im Anschluss zu entschuldigen, dass wir warten mussten, wegen ihm. Ich sage, er soll sich nicht entschuldigen. Das was passiert ist, ist nicht seine Schuld und war absolut nicht ok. Er schaut traurig aber versucht sich ein Lächeln abzugewinnen.
Nach einer ¾ stunde Aufenthalt macht sich der Bus auf den Weg nach Hof. Den Rest der Fahrt bin ich sehr still. In Gedanken versunken. Gekränkt, verletzt. Ich frage mich kurz, warum sie mich nicht kontrolliert haben. Und die Antworten darauf kommen mir schnell in den Sinn. Ich habe meine Haare am morgen geglättet, ich bin eine Frau und vor allem, bin ich mit meinem weißen Freund unterwegs.

Wir kommen in Hof an. Beim zusammenpacken meines Handgepäcks, verabschiede ich mich bei dem jungen Mann hinter mir, der mich immer noch sehr verschüchtert anlächelt. Mein Freund und ich sind die Einzigen, die hier aussteigen. Der Rest fährt weiter nach München.

Den Rest des abends bin ich betrübt. Ich bin wütend. Ich bin wütend auf die Zollbeamten, denen ich nichts entgegensetzen konnte, um mich selbst nicht in Gefahr zu bringen und die wie immer nur gesagt hätten: „Wir machen nur unseren Job“. Ich bin enttäuscht, dass niemand in diesem Bus es für nötig hielt, den Mund auf zu machen. Alle haben da gesessen, die weißen Omis mit ihren Handtaschen und die Studentin und der Typ neben ihr, die die ganze Fahrt über flirten und darüber reden, wo sie überall mal hinreisen wollen. Na schön für euch!
Für euch ist das ein Abenteuer. Ihr werdet behandelt wie Gäste. Menschen wie wir dürfen froh sein, dass sie überhaupt hier sein dürfen. Sollen dankbar sein, was wir hier alles haben. Das bisschen Erniedrigung kann man da schon mal ertragen.
Die Nacht über habe ich Alpträume und Flashbacks und die Wahl von Trump als Präsident der Vereinigten Staaten trägt nicht dazu bei, dass ich mit weniger Angst die Augen schließe. Nicht heute Nacht.